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Die Causa Böhmermann: Ein Tiefpunkt und noch ein Tiefpunkt und noch ein Tiefpunkt

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Die Frage, die der Fall Böhmermann aufwirft, ist nicht, ob Böhmermann sich strafbar gemacht hat oder nicht und die Bundesregierung ihre Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilen durfte oder nicht. Sondern die Frage ist, ob es Sinn macht, in diesem Fall mit dem Recht zu kommen. Das hängt auf einer ersten und vordergründigen Ebene davon ab, ob das Recht auf diesen Fall überhaupt eine Antwort oder jedenfalls eine einigermaßen klare Antwort hat. Hat es eine Antwort?

In meinem Kolloquium über öffentlich-rechtliche Tagesfragen, in dem ich den Fall gerade zur Diskussion stellte, waren die Meinungen dazu geteilt; viele Teilnehmer hatten ersichtlich Schwierigkeiten, sich überhaupt eine zu bilden. Das Erdogan-Gedicht für sich gesehen, war die einhellige Meinung, geht zu weit, es ist ein absoluter Tiefpunkt, tiefer hinunter geht es eigentlich nicht. Aber wird es nicht durch seine Einbettung und den Kontext, in den es gestellt ist, gerettet, indem es nämlich gerade als ein Beispiel dafür hingestellt wird, was überhaupt nicht geht? Das ist in diesem Blog – wie andere sekundiert haben: überzeugend – demonstriert worden. Aber dagegen ließe sich die Gegenfrage stellen, ob der Inhalt des Gedichts– nennen wir es einmal weiterhin so – nicht von einer solchen Art ist, dass es völlig egal ist, wie und worin man ihn einbettet. Darf man, wenn man nur vorher sagt, dass man es nicht ernst meint, wirklich alles sagen? Die Zeitschrift Titanic veröffentlichte einst ein Titelbild mit einem toten Björn Engholm in der Badewanne und der Unterzeile „Das ist nicht komisch, Herr Engholm“. Als Engholm dagegen juristisch vorging und dies öffentlich mit der Aussage rechtfertigte, er müsse sich diesen „Schmutz“ nicht gefallen lassen, konterte Titanic in der nächsten Ausgabe mit mehreren Fotomontagen, unter denen stand: „Das ist wirklich Schmutz, Herr Engholm“. Eine zeigte Engholm, wie er als Soldat im Vietnamkrieg einen gefangenen Vietcong erschoss, eine andere ihn mit entblößtem Unterkörper und grotesk vergrößertem Geschlechtsteil. Geht das nicht doch zu weit? Und zwar für sich und aus sich heraus, ohne dass es auf irgendwelche distanzierenden Unterzeilen oder überhaupt irgendeine Art der Einbettung ankommt? Im Fall Engholm zielte die Redaktion ersichtlich auf ein Zelebrieren dessen, was alles vom Recht her verboten ist, und damit verband sich unterschwellig zugleich ein bewusstes Vorführen der öffentlichen Person: Seht her, das können wir mit dem machen.

Und anders als beim Nachlegen der Titanic gegen Engholm ist im Fall Böhmermann bei genauerer Lektüre auch gar nicht so klar, ob hier wirklich alles so unernst ist, wie es in der äußeren Einkleidung – alles ja bloß Schmähkritik – hingestellt wird. Wenn eine Zeile in dem betreffenden Gedicht lautet, Erdogan unterdrücke Minderheiten und trete auf Kurden ein, hat das ja einen realen Hintergrund. Oder wenn es außerhalb des Gedichts, also in dem, was man die Rahmenhandlung nennen könnte, ganz unsatirisch heißt: Wer Rechte anderer einschränkt, dem gehören selbst die Rechte eingeschränkt – wofür das Gedicht dann selbst gleich einmal vormacht, wie das geht. Dazu häuft es antitürkische oder antimuslimische – zuletzt vielleicht auch einfach: rassistische – Klischees in einer Weise auf, von der auch Muslime oder Türken, die mit Erdogan nichts am Hut haben, bekannt haben, dass sie sich dadurch gekränkt fühlen. Die Sache mit den Schafen und der Ziege etwa ist ein solches Klischee, das bis heute in rechtsradikalen Kreisen schenkelklopfend gepflegt wird. Nun sagen Böhmermanns Verteidiger: Das weiß er ja alles selbst, er will ja bloß spielen. Aber darf man wirklich mit allen Klischees so spielen? Und wenn es um Späße aus und mit der Intimsphäre geht, hört der Spaß jedenfalls juristisch schnell auf, wie Leute, die sich im Medienrecht besser auskennen als ich, mit guten Argumenten aus der Rechtsprechung des BVerfG geltend gemacht haben.

Versetzt man sich deshalb für einen Moment aus der Perspektive des Rechtsanwenders heraus und versucht, auf die ganze Debatte von oben zu blicken, müsste man also eigentlich sagen: Juristisch ist die Lage ziemlich offen (weshalb, nebenbei bemerkt, die Bundesregierung – Grundrechtsbindung hin oder her – durchaus nicht nur politisch, sondern auch juristisch gute Gründe gehabt mochte, die Ermächtigung zur Strafverfolgung zu erteilen und die abschließende Klärung der Justiz zu überlassen). Tatsächlich dürfte jeder rhetorisch zumindest mäßig begabte Jurist in der Lage sein, mit Hilfe der Abwägungstopoi, die jedem Studenten bereits in der Grundrechtsvorlesung eingehämmert werden, hier jedes beliebige Ergebnis überzeugend zu begründen: einerseits „schlechthin“ konstituierende Bedeutung der Meinungsfreiheit für die Demokratie, grundsätzliche Vermutung für die freie Rede, laxere Maßstäbe für Personen des öffentlichen Lebens, niedrigere Schwellen bei eigener Mitveranlassung, andererseits eben unzulässige Schmähkritik, Verbot der bewussten Herabwürdigung, Obacht bei Berührung der Sexualsphäre undundund – da sollte sich für jeden etwas finden lassen. Das ist, wie ein Kollege, mit dem ich mich über die Sache unterhalten habe, trocken diagnostizierte, eben die Folge, wenn alle Begriffe in endlosen Abwägungsprozeduren zerschossen werden. Und wie immer in diesen Fällen sagen die Lösungen, die daraus konkret entwickelt werden, mehr über denjenigen, der das Recht anwendet, als über den Inhalt des Rechts selbst.

Das muss man nicht beklagen, es ist die Realität unseres Verfassungsrechts. Es eröffnet aber vielleicht die Möglichkeit, zu dem vorzustoßen, was man das Problem hinter dem Problem nennen kann. Dieses liegt nicht darin, ob dem türkischen Präsidenten als Person hier ein schweres Unrecht widerfahren ist oder ob es nicht im Gegenteil am Ende doch den Richtigen getroffen hat. Es liegt vielmehr in der Frage, wie wir uns den politischen und gesellschaftlichen Diskurs in unserem Land künftig vorstellen und welche Maßstäbe wir daran anlegen wollen. Und ob es nicht für eine zunehmende Verdummung, wenn nicht Verrohung dieses Diskurses steht, wenn er so geführt wird, wie es Böhmermann uns nun in seiner Extremform vorgemacht hat. Es ist ja durchaus bezeichnend, dass sich immer mehr vermeintliche Komiker oder Satiriker an die Kaskade der Beleidigungen angehängt haben und vor der türkischen Botschaft schon die ersten Demonstrationen angemeldet wurden, auf denen das Erdogan-Gedicht öffentlich verlesen werden sollte. Überhaupt lässt sich beobachten, wie die Verhöhnung mehr und mehr ein geläufiges Stilmittel nicht nur des Unterhaltungsbetriebs, sondern auch der Auseinandersetzung mit Politik wird. Leute, die darüber lachen, finden sich immer. Kürzlich erschien dazu in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung ein lesenswerter Beitrag, der der Frage nachging, was es für die politische Kultur einer Gesellschaft bedeutet, wenn in heute gängigen Satireformaten die meisten Politiker bloß als hilflose Tölpel dargestellt werden und immer mehr Bürger gerade daraus ihr Bild von Politik beziehen. Diesmal trifft es eine Figur, auf die man jedenfalls bei uns gefahrlos einschlagen kann, was soll daran eigentlich schlimm sein? Und mal ehrlich: War das nicht auch schon längst mal fällig? So kann man denken, so denken viele. Aber es bleibt die Frage, ob es nicht auch in der Auseinandersetzung mit solchen Leuten Grenzen gibt, die man besser nicht überschreitet. Und ob es nicht eine Kultur der Debatte – auch der Satire – gibt, die man, ohne groß darüber zu reden, einfach respektiert. Früher hätte man es Anstand genannt, noch altmodischer vielleicht bürgerlichen Anstand. Davon ist heute nicht mehr groß die die Rede. Und so gesehen könnte man das Ganze nicht nur wegen der Gossensprache, die hier öffentlich vorgeführt worden ist, auch als ein Symptom dafür behandeln, wie viel davon schon verloren gegangen ist.

Wenn man die Sache so sieht, geht es in diesem Fall gar nicht um die alte und wahrscheinlich auch bald als solche auftauchende Klausurfrage, ob sich Böhmermann hier strafbar gemacht hat. Es geht vielmehr um die noch ältere Frage des Verhältnisses von Recht und Moral, um die Frage also, ob mit Hilfe des Rechts bestimmte moralische Standards durchgesetzt werden sollen, welche Freiräume das Recht für unmoralisches Verhalten lassen kann und von welcher Schwelle an es dann doch einmal einschreiten müsste. Insoweit ist es möglicherweise kein Zufall, wenn diese Frage neuerdings auch in den verschiedensten anderen Zusammenhängen wieder auf die Tagesordnung kommt, etwa in den jüngst publik gewordenen Plänen der Bundesregierung, künftig per Gesetz gegen sexistische Werbung vorgehen zu wollen. Auch hier geht es darum, mit Hilfe des Rechts Grenzen zu ziehen, die offenbar aus dem Blick geraten sind. Und natürlich geht es auch um die Wahrung irgendwelcher Formen von Anstand. Es ist deshalb durchaus eine Ironie für sich, wenn ausgerechnet der Minister, der gegen einen um sich greifenden Sexismus auf Regulierung und Verbot setzt, nun im Fall Böhmermann öffentlich für die Freiheit der Zote eintritt. Natürlich: In all diesen Fällen gibt es gute Gründe für die Auffassung, das alles müsse dem Diskurs selbst regeln, der Staat dürfe hier mit seinem Recht nicht hineinregieren, alles andere sei schlimmster Paternalismus. Verfassungsrechtler kleiden das in einem Fall wie diesem typischerweise in den Satz, auch die unsinnige oder abwegige Meinung stehe unter Schutz und auch die schlechteste Kunst sei Kunst. Das praktische Ergebnis ist dann, dass jeder Schrott geschützt wird. Demgegenüber könnte man aber durchaus die Frage stellen, ob es nicht auch die Aufgabe des Rechts wäre, hier zumindest ab und an ein paar Grenzpflöcke einzuschlagen, die zeigen, dass es an dieser Stelle nicht weitergeht. Vielleicht gibt es ja selbst in solchen Äußerungsformaten wie der Satire immer wieder einmal Tiefpunkte, die dann auch durch das Recht als solche markiert werden könnten. Ob es am Ende groß hilft, steht sowieso auf einem anderen Blatt.

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